Zu Weihnachten habe ich mir ein echt tolles Buch mit nacherzählten Märchen, Sagen und Geschichten von der Usedom geschenkt. Nun möchte ich dir ein wenig darüber erzählen. Das Buch wird neu
vorgestellt und nacherzählt von Egon Richter und wendet sich an jung und alt, an Einheimische wie auch an Besucher der Insel. Sagen sind Geschichten aus längst vergangenen Zeiten, die
Interessantes über Kultur, Land, Leute, Leben und Historie vermitteln.
Beginnen wir mit den Grenzen der Insel Usedom.
Das wild zerklüftete Dreieck mit seinen zahlreichen Winkeln, Halbinseln, Aus- und Einbuchtungen wird im Norden von der Ostsee, im Osten von der Swine, im Süden vom Oder-Haff und im Westen von
der Peene und deren seeartiger Erweiterung, dem sogenannten Achterwasser, begrenzt. Immer wieder in den vergangenen Jahrhunderten sind den Inselbewohnern diese Grenzgewässer Anlass und Grund
gewesen, über deren Entstehung nachzudenken und natürliche geografische Gegebenheiten sowie naturwissenschaftliche Vermutungen und Erkenntnisse mit einem Kranz märchen- und sagenhafter
Geschichten umgeben. Dabei nimmt in solchen Erzählungen, seien sie nun mündlich überliefert oder schriftlich festgehalten, das Wort "früher" eine bemerkenswert schillernde und zugleich unklar
Stellung ein - es kann ebensogut Jahrzehnte und Jahrhunderte umfassen, wie es einen Zeitraum bis zur Erstbesiedelung oder gar Eiszeit benennen kann. Letzteres ist offenbar der Fall, wenn in
Sagen und Überlieferungen von der Meeresgrenze der Insel die Rede ist.
Danach soll der ganze östliche Teil, auf dem die Stadt Swinemünde und deren Umland liegt, "früher" von Wasser überflutet und Bestandteil der Ostsee gewesen sein. Nachdem aber sieben Jahre
hintereinander der Wind ständig aus Nordosten geweht haben soll, muss sich die Küste so verändert haben, dass die sogenannte Oderbank entstand, über die sogar eine Landstraße von Usedom nach
Kohlberg führte. Vor der späteren Hafeneinfahrt von Swinemünde wurde der Sandstreifen "Platte" genannt oder auch als "Joachimsbank" (nach wem diese Bezeichnung benannt wurde, konnte nicht
ausfindig gemacht werden) bezeichnet.
Wenn zu jener Zeit, als die See sich längst wieder ausgedehnt hatte, im Flachwasser über der einstigen Sandbank weiße Schaumkronen entstanden, sagten die Seeleute: "Die Schafe laufen über die
Platte" - heute werden dort nur noch Fische gefangen! Ebenso wie für die nördliche Küstenlinie wird auch für die südliche Begrenzung der Insel durch das Haff eine alles entscheidende
Sturmflut verantwortlich gemacht. In einer alten Beschreibung aus dem Jahre 1772 wird der Vorgang wie folgt dargestellt:
"Es ist unter den Geschichtsschreibern etwas Unleugbares, dass vor uralten Zeiten das Haff noch nicht gewesen, sondern durch eine Überschwemmung, etwa zur Zeit der Chimärischen
Überschwemmung, erst entstanden, daher auch den Namen des Frischen Haff trägt.
Was auch immer mit der "Crimbischen Überschwemmung" gewesen sein mag: Um jene Zeit jedenfalls soll das Haff und damit die südliche Begrenzung der Insel Usedom entstanden sein, was bedeutet:
Das Gewässer ist etwa zweitausend Jahre alt.
Für die Entstehung der Swinemünde, durch welche die Insel im Osten auf natürliche Weise begrenzt wird, gibt es im Usedomer Sagenkranz keine Erklärung. Ihre Existenz wird al gegeben
hingenommen. Nur über den Namen des Flusses finden sich spärliche Aussagen. Die wahrscheinlichste scheint diejenige zu sein, nach der dieser Flusslauf seine Bezeichnung dem sogenannten
Meerschwein verdankt. Dieser, auch als Braunfisch bekannte Bewohner der Ostsee wurde von den Fischern und Seeleuten deshalb als Schweinefisch bezeichnet, weil er beim Lufthüllen schnaufende
Töne ausstieß, die dem Grunzen eines Schweines ähnlich waren. Eine weitere Namens-Erklärung meint, dass die Inselbewohner die ersten Scheine über den bis dahin namenlosen Fluss auf das Eiland
holten. Die dritte und unwahrscheinlichste Begründung für die Flussbenennung geht davon aus, dass es genügte, einen Schweineschädel als eine Art Schrittstein in den Fluss zu werfen, um ihn -
praktisch mit zwei Schritten - zu überwinden. Wie dem auch sei: Der letzte Pommernherzog Bogislaw XIV. nannte nicht nur den Fluss, sondern zuweilen auch die ganze Insel Usedom "die Swyne".
Um Unterschied zur Swinemünde gibt es für den westlichen Begrenzungsfluss der Insel, die Peene, zumindest eine sagenhafte Entstehungsgeschichte. Danach soll der Teufel - offenbar in einer
sehr kurzzeitigen Begeisterung für bäuerliche Tätigkeit - seine Großmutter veranlasst haben, wenigstens eine Ackerfurche durch die Gegen zu ziehen. Entweder hatten beide gar nicht mehr im
Sinn oder es wurde ihnen über: Jedenfalls beließen sie es bei diesem einen Graben, aus dem dann die Peene wurde. Auch von diesem Fluß wird behauptet, dass man ihn auf zwei ins Wasser
geworfenen Pferdeschädeln bequem überschreiten konnte. Nur ein einziges Mal wird in den alten Überlieferungen die Bezeichnung der hier ansässigen Bewohnern mit der Namensgebung, vor allem bei
der Swinemünde, in Verbindung gebracht.
Danach waren die ältesten Siedler in Pommern die Sieben oder Seifen, die angeblich deshalb so bezeichnet wurden, weil die ihr Haar zu mehreren Schweifen gebündelt trugen, um die Feinde zu
erschrecken. Einer ihrer Stämme, Swionen genannt, ließ sich auf der Insel nieder - nach ihm soll der östliche Begrenzungsfluss Usedoms benannt sein.
Zur Entstehungsgeschichte des Inselnamens
Nach der "historischen Eingrenzung" Usedoms sollen Sagen darüber befragt werden, was sie zum Namen der Insel mitzuteilen haben. Dies ist allerdings kein freundliches Kapitel, denn wer immer auch
die ersten Bewohner gewesen sein mögen, ob nun die schweif-frisierten Sueben oder andere germanische und slawische Stämme: Sie werden als tumbe Toren und Einfaltspinsel hingestellt.
Es gibt eigentlich nur eine einzige Namens-Geschichte, die in ihren verschiedenen Fassungen unwesentlich variiert wird. Es ist die Geschichte einer Versammlung. zu dieser hatten sich in den
berühmten "uralten Zeiten" alle Einwohner zusammengefunden, um für ihre Insel, auf der sie schon eine ganze Weile lebten, endlich einen ordentlichen Namen zu finden, denn wer lebte schon gern an
einem Ort, den er nicht einmal benennen konnte?! Es wurden, heißt es, viele Vorschläge gemacht, die aber in keinem Fall die Zustimmung aller Anwesenden fanden. Daraufhin beschlossen die
Versammelten, dass die nächste Änderung, die einer tun würde, der Name der Insel sein sollte. Die Folge dieses Beschlusses war stundenlanges Schweigen. Dieses wiederum ging einem
Versammlungsteilnehmer so auf die Nerven, dass er schließlich wütend aufsprang und ausrief: "O, so dumm!"
In einer zweiten Version wird dieser Ausruf jenen berühmten Wanderer in den Mund gelegt, der offenbar schon damals des Wegs kam und auf die schweigend Versammlung traf - wie dem auch sei, es
blieb bei "O, so dumm!"
Eine relativ unbekannte Variante macht den Insel-Fürsten von Wollin für die Namensgebung verantwortlich. Danach soll er Krieg gegen seine Nachbar-Insel geführt haben, um diese, wie es heißt,
"unter seine Botmäßigkeit" zu bringen. Deren Bewohner schienen von diesen Ansinnen so wenig begeistert, dass die dem Wolliger heftigsten Widerstand auch dann noch entgegensetzten, als ihre Kräfte
fast erschöpft waren. Daraufhin bot der Eroberer ihnen Frieden an, angeblich zu günstigen Bedingungen. Nun mag es sein, dass die Inselbewohner dies Friedensangebot als so großartig nicht
empfinden konnten oder dass sie tatsächlich sture Pommern waren - jedenfalls schlugen sie das Ansinnen des Fürsten aus, worauf dieser nur ausrufen konnte: "O, so dumm?"
Welche Variante auch überliefert, niedergeschrieben oder erzählt wurde und wird, es galt und gilt das einfältige Verhalten der Insulaner als Grundlage für die Namensgebung der Insel. So die Sagen
und Geschichten.
Dagegen scheint es viel wahrscheinlicher, dass es die wendische Burg und Siedlung Usedom gewesen ist, die der Insel den Namen gegeben hat und dass die slawische Bezeichnung für diese Ansiedlung
"Uznam" lautete. Dieses Wort, das später vermutlich als "Usedom" eingedeutscht wurde, heißt schlicht und einfach Ausgang oder Mündung. Ob damit eine Mündung des Usedomer Sees in den Peenestrom
oder die Mündung der die Insel begrenzenden Flüsse in die Ostsee gemeint war, bleibt Interpretation der Historiker vorbehalten.
Schon zu Zeiten der pommerschen Herzöge hatte die Insel ein eigenes Wappen, das ein Greif mit einem Störschwanz zeigte. Der Greif war das Symbol des Fürstenhauses, der Störschwanz belegte den
Fischreichtum der Inselgewässer, ganz speziell den Stören: Dieser Edelfisch, der auch in Sagen und Geschichten von der Insel immer wieder vorkommt, muss damals als besondere Delikatesse gegolten
und in der Wirtschaft der Insel eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Ortsnamen und -wappen auf der Insel belegen unabhängig von dem längst nicht mehr vorhandenen Stör die generelle
Bedeutung des Fischreichtums und Fischfangs für die Bewohner und Niederlassungen. Zum Teil nimmt auch heute noch der Fischfang eine besondere Rolle im Leben und in der Wirtschaft der
Inselbewohner.
In den vergangenen Jahrhunderten war für die Küstenbewohner Usedoms auch das Strandrecht von Bedeutung. Bevor Hafeneinfahrten und Gefahrenpunkte mit Leuchtfeuern versehen und markiert waren, kam
es vor allem bei stürmischer Witterung nicht selten vor, dass Schiffe vor Usedom strandeten bzw. Ladung und Teile leckgeschlagener Schiffe an Land gespült wurden. Nach dem Gewohnheitsrecht nahmen
die Anwohner diese "Beute" für sich in Anspruch. Schon in den Jahren 1495, 1560 und 1569 erließen daraufhin die pommerschen Herzöge Verfügungen, die dieses sogenannte "Recht" in gesetzliche und
verbindliche Normen kleidete. Möglicherweise haben sich die Inselbewohner danach gerichtet. An anderen Küstenabschnitten der Ostsee sollen Einheimische in dem Ruf gestanden haben, irreführenden
Lichtsignalen fremde Schiffe zum Stranden zu bringen und sich dann der Ladung zu bemächtigen. In der Inselgeschichte von Usedom ist jedenfalls nirgends dokumentiert, dass irgendjemand durch das
Strandrecht zu Wohlstand gekommen ist.
Über Drachen, Kobolde und Seejungfrauen
Drachen, Kobolde und Seejungfrauen gehören wie anderenorts auch auf der Insel zu den lokalen Sagengestalten. Doch den Drachen und Lindwürmern muss es in dieser Gegend nicht besonders gefallen
haben, denn nur eines dieser Untiere lebte auf der Insel und machte die Peenemünder Heide unsicher.
Sein Artgenosse hauste auf dem Festland bei Lassan und lag in ständiger Fehde mit dem Insel-Drachen. Trafen sie aufeinander, schossen Flammengarben aus ihren Rachen und sie verwüsteten Felder und
Wälder. Aber nur die Lassaner rückten ihrem Untier zu Leibe, indem sie bei Wehrland, in dessen Nähe sich der Drache zum Schlafen niedergelegt hatte, rundherum das Schilf anzündeten, so dass der
Lindwurm eines elendiglichen Todes starb. Dabei gab er solche lauten Schreie von sich, dass der Peenemünder Drache vor Angst die Flucht ergriff, sich mit lautem Geheul ins Meer stürzte und nie
wiederkehrte. Manche vermuteten, er sein nach Schweden geschwommen, andere glaubten, dass die See ihn verschlungen habe. Auf jeden Fall war Usedom seine Peiniger los und hatte sich fortan nur
noch mit Riesen, Hexen, Zwergen und dem Vogel Greif herumzuschlagen.
Der Zauber der Landschaft
Seit eh und je haben bestimmte geographische Gegebenheiten wie Berge, Täler, Gewässer oder Hohlwege Grundlagen und Ausgangspunkte für vielfältige Geschichten, Sagen und Märchen geliefert. Nicht
selten waren und sind sie selbst, Ihr Lage, Entstehung oder Gestalt Gegenstand sagenhafter Erzählungen. Oft konnten sich die früheren Bewohner manche Rätselhafte Erscheinung in der Natur nicht
erklären und so fanden diese in Sagen und Geschichten ihren Niederschlag.
Auf der Insel Usedom trifft das besonders für zwei sehr unterschiedliche landschaftliche Areale zu. Beide liegen im östlichen Insel-Teil kurz vor oder direkt an der heutigen polnischen Grenze im
Vorfeld der Stadt Swinemünde. Es handelt sich dabei um den Golm und das Thurbruch. Der Golm ist ein waldbestandener Berg, der unmittelbar aus einer sonst flachen Wiesenlandschaft vor dem Haff
gelegenen alten Fischerdorf Kamminke hervorwächst. Nach 1945 wurde hier eine Begräbnis- und Gedenkstätte errichtet für Tausende von Toten, die den Luftangiffen auf Swinemünde im Jahre 1945 zum
Opfer fielen. Ihnen hat der Rostocker Bildhauer Wolfgang Eckardt auf der Höhe des Berges ein beeindruckendes Denkmal gesetzt.
Das Thurbruch war eine ursprüngliche sumpfige-morastige Wiesenlandschaft zwischen den Dörfern Reetzow und Ulrichshorst und soll in grauer Vorzeit Aufenthaltsort von Auerochsen (Ur) gewesen sein.
Schon unter Friedrich dem Großen und in den zwei Jahrhunderten danach sind Versuche unternommen worden, das Bruch trockenzulegen und als Weidefläche zu nutzen. Dieser ehrgeizige Plan wurde
allerdings erst in unserem Jahrhundert unter den Bedingungen der früheren DDR-Landwirtschaftsgenossenschaften verwirklicht. Seither führt von Reetzow nach Ulrichshorst eine Betonstraße quer durch
das Bruch und in bestimmten Abständen regulieren kleine technische Anlagen seinen Wasserhaushalt. Noch heute ist das Thurbruch ein Refugium seltener Pflanzen-, Tier- und Vogelarten. In jener Zeit
aber, in der die Sagen um Thurbruch und Golm entstanden, war es ein gefährliches, kaum passierbares Moor, über das Irrlichter wanderten und in dem Geister zu Hause waren.